Der ein oder andere wird sich erinnern, im Februar hatte ich eine schwere Bronchitis und musste über Wochen zu Hause bleiben.
Das war aber was ganz anderes als jetzt. Draußen tobte das Leben mit all seinen Verlockungen, Theater, Cafés, Parties und ich konnte nicht dabei sein, hatte das Gefühl, das Leben ginge an mir vorbei. Jetzt gibt es nichts, das an mir vorbei geht. Was noch möglich ist, kann eine gesundheitliche Bedrohung für mich und andere sein, deswegen bin ich nun erneut seit einer Woche nur zu Hause, abgesehen von Einkäufen, die zu tätigen sind. Die leidvolle Suche nach Klopapier erspare ich dem werten LeserIn!
Allerdings ist noch etwas ganz anders. Die Ruhe kehrt nicht nur in mein Umfeld ein, sondern auch in mir. Ich muss nicht mehr in meinen Terminkalender schauen, ich muss nirgendwo hin, muss gar nichts tun. Ich spüre eine unfassbare Entspannung, ein sich in mir entfaltendes Wohlbefinden, das ich über die letzten Jahre nicht gespürt habe. Das heißt wahrlich nicht, dass ich den jetztigen Zustand auf alle Zeiten bewahrt haben möchte, aber solange es gehen muss, möchte ich diesen positiven Aspekt der Misere genießen. Und alle, die die sozialen Medien bis jetzt verdammt haben, lernen wohl gerade in diesen Zeiten ihren Wert zu schätzen.
Ich möchte an dieser Stelle keinen Appell an Sie oder Euch senden, aber doch darum bitten, die Lage erst zu nehmen!
Vor ca. 25 Jahren schrieb ich eine Kurzgeschichte, sicherlich kein literarisches Meisterstück, aber ich habe mich aufgrund der aktuellen Ereignisse daran erinnert und möchte sie hier präsentieren.
DAS UNGLÜCK (©Stella Ahangi)
Es hatte so kommen müssen. Alle hatten darauf gewartet, doch als es dann kam, hatte niemand damit gerechnet. Es kam nicht so, wie man es erwartet hatte, mit einem Knall oder so. Nein, es kam leise und langsam. Das war das Schlimme.
Bei Frau H. begann es mit einem leichten Juckreiz zwischen den Fingern. Herr K. hatte eine geschwollene Zunge und Herrn Z. fielen die Haare aus. Aber das beachtete man nicht weiter. Keine Beachtung fand ebenfalls der Baum, der seit Jahren keine Blätter mehr trug und die Katze, die anstatt eines Miauens nur noch ein Röcheln zustande brachte. Ausnahmeerscheinungen in einer heilen Welt. Direktor L. hatte alles unter Kontrolle. Kein Grund zur Panik. Schließlich hatte er ja auch Kinder und einen Hund. Seine Frau erwähnte er nicht.
Die Mücken waren um ein doppeltes größer als in den letzten Jahren, ganz zu schweigen von den Ameisen. Aber, warum Panik machen? Ausnahmeerscheinungen, alles Ausnahmeerscheinungen. Dass die Erdbeeren die Größe eines Apfels bei weitem überschritten hatten, war eine äußerst angenehme Angelegenheit, dafür nahm man gerne in Kauf, dass Küchenschaben größer wurden als Maikäfer. Die gab es sowieso nicht mehr.
Frau O. spürte ihre Nase nicht mehr, also konnte sie auch kein Schnupfen stören. Den eitlen Herrn A. traf es ganz fürchterlich: die Fingernägel fielen ihm ab, und als auch die Fußnägel sich zu lösen begannen, schlug er Alarm. Man hatte Verständnis, schickte Herrn A. als ungewöhnliche Ausnahmeerscheinung zu einer Kosmetikerin, die ihm künstliche Nägel verpasste, und schon war das Problem des eitlen Herrn A.’s gelöst.
Mit Frau G. hatte man jedoch zum ersten Mal schwere Probleme. Sie hustete ununterbrochen, spuckte Blut, was im Büro des Herrn Direktors sehr ungern gesehen wurde, und fiel diverse Male in Ohnmacht. Man beschloss, in Rücksichtnahme auf die Kollegen, Frau G. für eine Weile zu Hause zu lassen, wo sie dann auch in aller Bescheidenheit starb. Die erste tote Ausnahmeerscheinung.
Dann erwischte es den Hund des Direktors. Tag und Nacht saß Direktor L. vor der Hundehütte und versuchte mithilfe des Tierarztes die Schmerzen des Hundes zu lindern. Am 3. Morgen war nichts mehr zu machen. Auch Direktorenhunde können zu Ausnahmeerscheinungen werden.
Nachdem der Direktor den viel zu frühen Tod seines Hundes überwunden hatte, kam sofort der nächste Schicksalsschlag. Der kleine Peter, der jüngste Sohn des Direktors, hatte den Körper mit eitrigen Ekzemen übersäht, die unaufhörlich juckten. Man hatte dem Kleinen die Hände an Bett gebunden, damit er sich nicht ständig kratzte, doch die Ekzeme platzten auf und bildeten sich neu, wo sie eben erst verschwunden schienen. Sein Leiden war kurz. Die Ärzte waren ratlos und der kleine Peter starb innerhalb weniger Tage im städtischen Krankenhaus.
Die Ausnahmeerscheinungen wurden zum Regelfall. Jeder, der noch nichts hatte, beobachtete morgens seinen Körper mit ängstlicher Miene und ging abends besorgt zu Bett. Man mied den Kontakt zu anderen Mitbürgern, da man anfangs davon ausging, dass es sich um eine ansteckende Krankheit handeln würde. So vergingen die Jahre und die Menschen siechten langsam dahin. Es war da! Das Unglück war schon da, als man noch darauf wartete. Zu spät alle Einsichten, zu spät, Notmaßnahmen zu treffen. Zu spät. Man prognostizierte, dass sich die Einwohnerzahl innerhalb eines halben Jahres vierteln würde. So kam es auch. Der Direktor war einer der letzten Ausnahmeerscheinungen, die starben.
So wird es nicht kommen, wenn wir alle verantwortungsvoll miteinander umgehen.
Machen wir das Beste aus der Situation. Bleiben Sie zu Hause und bleiben Sie gesund!
Ihre/Eure
Stella Ahangi
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